Der Grund dafür, dass wir Coffs Harbour als Auftrittsort angegeben haben, ist der, dass es der nächste bewohnte Ort von der Kommune ist. Die Wegbeschreibung zur Kommune selbst, ist folgende: Ihr fahrt einfach 100 km auf dieser Schotterstrasse in Richtung Westen, dann links, und wenn ihr an einem Gefängnis vorbeikommt, bleibt auf keinen Fall stehen und filmt auch nicht. OK!? (Die Frage, warum hier ein Gefängnis steht, wird wahrscheinlich niemand beantworten können oder wollen). Das Navigationssystem ist nutzlos, da es weit und breit keine registrierten Strassen gibt. Ich weiss nicht mehr genau warum, aber aus irgendeinem Grund kursierte im Bus das Gerücht, dass unser Ziel eine schwule Hippie Kommune sei. Unser Kontaktmann Bruce fragte nämlich unter anderem, ob wir Pärchen in der Band hätten. Unsere Annahme wird durch unzählige, liebevoll verknotete, rosa Bändchen, die als Wegmarkierung an Ästen und Bäumen befestigt sind, untermauert.
Wir befinden uns nun also wieder mitten in den Bergen, auf kaum befahrbarem Untergrund, spielen Achterbahn und suchen ein Tal, das nirgends verzeichnet ist, um eine Horde schwuler Hippies zu treffen. Wir entdecken mitten im Nichts eine an einem Baum befestigte Tafel, auf der geschrieben steht: Come all tonight Des For Bose, 12-piece reggae band from Hamburg, womit wahrscheinlich wir gemeint sind. Also nehmen wir den Weg und landen in dem besagten Tal. Dort befinden sich einige kleine, bunt bemalte Hütten, ein Freiluftklo, eine ziemlich grosse Half-Pipe (für die Skater unter uns) und etwas, das irgendwie aussieht wie ein Clubhaus. Eine üppige Sonnenterasse ist in drei Meter Höhe komplett um das Gebäude gezimmert. An der provisorischen Bar räumt gerade jemand Bier in eine Art Holz-Kühlschrank. Meine erste Bekanntschaft mit einem echten Hippie, und das muss ja wohl einer sein. Er ist ca 2 Meter gross, heisst Tyrone, und besteht im Grunde nur aus Bart und Bauch. Von seinem roten, viel zu engem T-Shirt, lacht mir Mr T. vom „A-Team“ entgegen. Sieht lustig aus. Wir unterhalten uns kurz über Diesel-Generatoren und Hitler während sich die Terrasse langsam füllt. Wir werden von jedem, der neu hinzukommt, sehr herzlich empfangen. Alles sehr robuste Kerle. Man sagt uns, dass sich hierher nicht viele Menschen verirren und auch nicht gerne gesehen sind, es sein denn, sie werden persönlich eingeladen. Und ja, es gibt auch Frauen, was den einen oder anderen von uns sichtlich erleichtert. Bruce, ich nenne ihn mal Stammeshäuptling, lädt mich und die Film-Crew zu einer Rundfahrt durch die „Stadt“ ein. Während der Fahrt (man versteht kaum sein eigenes Wort) mit seinem Pick-up über brutal holpriges Gelände, welches den zwangsläufigen Tod jedes normalen Stadtautos zur Folge hätte, benutzt er Ausdrücke wie Innenstadt, Vororte, Reichenviertel, west- und eastend; man bemerke, dass wir gerade durch ein strassenloses, dicht mit Wald bewuchertes Gebirge fahren, in dem ca 80 Aussteiger in verstreuten, selbstgebauten Holzhütten und ausrangierten Wohnwagen leben. Er erzählt sehr skurrile Geschichten von Dieben, explodierenden Autos, Hubschraubern und halbnackten Typen im Schnee bewaffnet mit Schrotflinten. Die Leute hier haben ihre eigene Infrastruktur und sind allesamt Selbstversorger. Das benötigte Geld wird durch den Verkauf der angebauten Naturalien verdient. Ab und an fährt mal jemand in die nächste Stadt und besorgt das nötigste. Strom wird aus Solarenergie bezogen oder mit Generatoren erzeugt. Wasser gibt’s aus dem Fluss.Im Clubhaus steht eine kleine Anlage für uns bereit. Wir fangen irgendwann nachts an zu spielen. Man merkt, dass die Leute sehr dankbar sind, mal wieder Live-Musik zu hören, offensichtlich eine sehr willkommene Abwechslung. Während des zweiten Songs erhalten wir bereits die Gage; in Form einer grossen Woolworth- Einkaufstüte voll mit Gras, die einer der Hippies in Joe´s Saxophon stopft. 50 Dauerkiffer wären schätzungsweise ein Jahr lang damit beschäftigt. Wie wir feststellen, sind hier Drogen aller Art, in jeglicher nur erdenklichen Form und Konsistenz, ein sehr gängiges Gebrauchs- und Grundnahrungsmittel, was auf der anschliessenden, ich nenne es mal leicht ausufernden aber sehr friedlichen Aftershowparty deutlich wird. Die Nacht wird lang, aber die Grenzen von Tag und Nacht haben sich für uns in den letzten drei Wochen aus bekannten Gründen ohnehin komplett verschoben. Wir sind von normalen Tagesabläufen und regelmässigen Schlafenszeiten soweit entfernt wie George W. Bush von einem zusammenhängenden Satz. An den nächsten Morgen kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich wache gegen späten Nachmittag in dem Auto unseres Technikers Jan auf, der Bandbus direkt hinter uns. Ich denke an das Geschehene zurück und habe das Gefühl, eine unglaubliche Erfahrung gemacht zu haben. Den anderen geht es sicher ebenso. Gäbe es so etwas wie einen Nullpunkt der körperlichen Belastbarkeit, dann hätten wir ihn jetzt erreicht. Wir sind auf unserer letzten Etappe; 700 km in Richtung Katoomba.